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»Seepferdchen«: Erstaunliche Einsichten zu einer faszinierenden Gattung

In Aquarien gehören sie zu den Publikumsmagneten. Sie haben keinen Magen, müssen daher ständig fressen und sind vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt. Andrea Grill liefert ein vielfältiges und zum Nachdenken anregendes Porträt des Seepferdchens.
Unterwasseraufnahme eines Felsgrabens

Ein Seepferdchen umgreift mit seinem Schwanz ein rosafarbenes Wattestäbchen und lässt sich durch den Indischen Ozean treiben. Mit dieser Beschreibung eines Fotos beginnt das Porträt des Seepferdchens, das die Schriftstellerin und promovierte Biologin Andrea Grill für die Reihe »Naturkunden« verfasst hat. 2017, als dieses Foto erschienen ist, wurde die Verschmutzung der Meere breit diskutiert – mit einem konkreten Ergebnis: Seit 2021 ist die Herstellung von Einwegplastik in der EU verboten, also auch die von Plastik-Wattestäbchen. »Nie mehr soll ein Seepferd sich an ein in der EU hergestelltes Plastikteil klammern. Ein Seepferdchen brachte uns dazu, unsere Gesetze zu verändern«, so die Autorin.

In der Folge nähert sich Grill den Seepferdchen aus verschiedenen Perspektiven. Umweltschutz und Biologie gehören dazu, sie benennt die Besonderheiten dieser unverwechselbaren Meeresfische ebenso wie ihre Bedrohungen. Sie betrachtet sie kulturhistorisch und ihr Vorkommen in der Literatur – und erklärt, wo jeder von uns »Seepferdchen« im Körper hat. So trägt sie Erstaunliches zusammen. Diese faszinierenden Fische seien der stärkste Publikumsmagnet in Aquarien, sagt zum Beispiel Daniel Abed-Navandi vom »Haus des Meeres« in Wien. Zu den bekannten Besonderheiten von Seepferdchen gehört, dass die Männchen die befruchteten Eier in ihrer Bruttasche austragen. Grill beschreibt auch die weniger bekannten Eigenschaften: die Balz der meist monogamen Paare, die Klicklaute und das Knurren sowie deren (mögliche) Bedeutung; ihr röhrenförmiges Maul, mit dem sie die Nahrung (Kleinkrebse, Larven und winzige Meerestiere) wie mit einer Pipette einsaugen – Seepferdchen haben keinen Magen, so dass sie nonstop fressen müssen.

Was Seepferdchen gefährdet

Um die Seepferdchen in ihrem natürlichen Lebensraum zu entdecken – etwa flachen Küstengebieten mit Seegraswiesen, Mangroven oder Korallen –, bereiste die Biologin die Weltmeere. Dabei ging es hier auch darum, »klare Hinweise von Expert*innen zu bekommen, was jede*r einzelne von uns tun kann, damit es den Seepferdchen besser geht … Aber so funktioniert es in den Ozeanen nicht.« Ausführlich beschreibt Grill die zahlreichen Bedrohungen für Seepferdchen, etwa den Verlust ihres Lebensraums, die Fischerei oder den Handel. So gelten Seepferdchen in China als Potenzmittel und werden in großen Mengen gefangen.

Andrea Grill recherchiert auch in der historischen und naturwissenschaftlichen Literatur und findet dort Seepferdchen auch als Fabelwesen und in vielen Kunstwerken. So prägte die griechische Mythologie die Bezeichnung »Hippokamp« für ein Seepferd. Und im 16. Jahrhundert entdeckte der venezianische Anatom Julius Caesar Arantius eine Struktur im menschlichen Gehirn, die einem kopflosen Seepferd ähnelt und daher bis heute »Hippocampus« genannt wird und uns das Erinnern ermöglicht. Im Mittelmeer begegnete die Biologin nach vielen Tauchgängen einem Seepferdchen in seinem natürlichen Lebensraum: in der Adria bei Venedig. Am Ende des Buchs finden die Leser neben Hinweisen auf weiterführende Literatur auch 10 Porträts von derzeit 57 bekannten Seepferdchen-Arten – manche kleiner als ein Reiskorn, andere bis zu 30 Zentimeter groß.

»Über Seepferdchen nachdenken heißt, über alle wichtigen Themen auf der Erde nachzudenken, über den Planeten als Einheit. Die Weltmeere stehen miteinander in Verbindung, und die Meere wieder mit dem Land, und das Land mit der Luft.« Mit ihrer nachdenklichen und umfassenden Betrachtungsweise stellt uns Andrea Grill diese besonderen Meeresfische vor – mit interessanten Details, angenehm und abwechslungsreich zu lesen. Ein sehr lesenswertes Porträt.

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