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Lexikon der Mathematik: problema bovinum

Rinderproblem des Archimedes, die in der griechischen Mythologie wurzelnde Aufgabe, die (außerordentlich große) Anzahl der Rinder des Sonnengottes anhand von sieben Gleichungen und zweier zusätzlicher Bedingungen zu bestimmen.

Bei seiner Arbeit als Bibliothekar in der Herzöglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel fand G.E. Lessing ein griechisches Epigramm, bestehend aus 22 Distichen, welches ein mathematisches Rätsel enthält; er publizierte das Epigramm 1773. Nach einer Übersetzung von Krumbiegel (1880) beginnt der Text so:

„Berechne, o Freund, die Menge der Sonnenrinder, / Sorgfalt dabei anwendend, wenn du an Weisheit Theil hast: / (berechne) in welcher Zahl sie einst weidet auf den Fluren / der sicilischen Insel Thrinakien, vierfach in Heerden getheilt / wechselnd an Farbe, die eine von milchweissem Ausseh’n, / …“.

Die gesamte Rinderherde besteht aus weißen, schwarzen, braunen und gefleckten Stieren und Kühen. Bezeichnet man jeweils die Anzahl der Stiere mit großen Buchstaben W, S, B, G und die der Kühe mit kleinen Buchstaben w, s, b, g, so drücken die ersten acht Distichen folgende Gleichungen aus: \begin{eqnarray}\begin{array}{lll}B & = & W-\left(\frac{1}{2}+\frac{1}{3}\right)S=S-\left(\frac{1}{4}+\frac{1}{5}\right)G\\ & = & G-\left(\frac{1}{6}+\frac{1}{7}\right)W.\end{array}\end{eqnarray}

Die nächsten fünf Distichen ergeben die vier Gleichungen: \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}w=\left(\frac{1}{3}+\frac{1}{4}\right)(S+s), & s=\left(\frac{1}{4}+\frac{1}{5}\right)(G+g),\\ g=\left(\frac{1}{5}+\frac{1}{6}\right)(B+b), & b=\left(\frac{1}{6}+\frac{1}{7}\right)(W+w).\end{array}\end{eqnarray}

Es ist leicht möglich, sämtliche (ganzzahligen) Lö-sungen dieser sieben Gleichungen zu ermitteln. Aber das Epigramm geht weiter: „Hast du aber genau angegeben, o Freund, wieviel der Sonnenrinder es waren, / für sich gesondert die Zahl der wohlgenährten Stiere / und gesondert auch, wieviel jedesmal nach Farbe Kühe es waren, / nicht unwissend nennt man dich dann, noch unkundig der Zahlen: / doch noch zählt man dich nicht zu den Weisen: …“. Im letzten Drittel des Gedichts finden sich noch die Bedingungen

(a) W + S ist eine Quadratzahl,

(b) B + G ist eine Dreieckszahl.

Die gesamte Aufgabe läßt sich so umformen, daß man aufgrund der Lösungen (x, y) der Pellschen Gleichung \begin{eqnarray}{x}^{2}-4729494\,{y}^{2}=1\end{eqnarray}

alle Lösungen des Rinderproblems ermitteln kann. Amthor publizierte 1880 den Lösungsweg über diese Pellsche Gleichung und gab als Gesamtzahl der Rinder des Sonnengottes die Zahl \begin{eqnarray}7766\cdot {10}^{206541}\end{eqnarray}

an. Alle Stellen dieser Zahl wurden 1981 von H.L. Nelson auf 47 Druckseiten veröffentlicht.

Die Urheberschaft des problema bovinum geht nicht zwingend aus dem vorliegenden Material hervor, aber es gilt als nahezu sicher, daß diese Aufgabe von Archimedes von Syrakus stammt. Bekannt ist jedenfalls folgendes:

  1. Der Sprichwörtliche Ausdruck „problema bovinum“ bezeichnete in der Antike eine schwierige Aufgabe.
  2. Bei antiken Mathematikern war es durchaus üblich, Aufgaben in Gedichtform auszudrücken.
  3. Archimedes hat in seiner Arbeit „Der Sandrechner“ gezeigt, daß er mit sehr großen Zahlen rechnen konnte. Er war prinzipiell in der Lage, mit solch großen Zahlen, wie sie bei der Lösung des Rinderproblems auftreten, umzugehen.
  4. Es ist nicht völlig auszuschließen, daß Archimedes eine Methode zum Lösen der obigen Pellschen Gleichung kannte.

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  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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