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Lexikon der Chemie: Bindebaustoffe

Bindebaustoffe, anorganische Bindemittel oder Binder, die mineralische Stoffe und Abfallstoffe, wie Sand, Kies, Gesteinssplitt, Schlacke und Asche, einbinden und künstliche Steine, Mörtel (Gemenge von B. mit Sand) und Betons (Gemenge von B. mit gröberen Zuschlagstoffen oder porenhaltige künstliche Steine) bilden. Nach der Zusammensetzung unterscheidet man zwischen silicatischen B. (silicatische Zemente, Ton, Lehm) und nichtsilicatischen B. (Kalk, Gips, Tonerdeschmelzzement). Nach den Reaktionsmechanismen der Abbindung lassen sich die B. in Luftbindebaustoffe, hydraulische B. und hydrothermale B. einteilen.

Luftbindebaustoffe sind vor allem Löschkalk und gebrannter Gips. Zur Herstellung von Löschkalk wird Kalkstein CaCO3 in kontinuierlich arbeitenden Schachtöfen unter Zusatz von 10 % Koks als Brennstoff gebrannt; die thermische Zersetzung nach CaCO3 → CaO + CO2 erfolgt bei 1100 bis 1300 °C. Zur Herstellung von Mörtel wird der Branntkalk zunächst mit Wasser in exothermer Reaktion nach CaO + H2O → Ca(OH)2 in Löschkalk übergeführt, der im Gemisch mit Sand und Wasser direkt für Bauzwecke eingesetzt wird. Der Abbindevorgang verläuft unter CO2-Aufnahme aus der Luft nach folgender Reaktion: Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H2O. Mischungen aus dem bei 120 °C gebrannten Gips CaSO4*1/2 H2O und Wasser erhärten an der Luft unter Bildung sich verfilzender Gipskristalle CaSO4 ·2 H2O, gegebenenfalls unter Einbindung von Zuschlagstoffen, wie Sand, Holzmehl u. a. Aufgrund der relativ guten Wasserlöslichkeit CaSO4-haltiger B. lassen sich diese nur für den Innenausbau verwenden.

Hydraulische B. reagieren mit Wasser unter Bildung unlöslicher Verbindungen, so daß im Gegensatz zu den Luftbindebaustoffen höchste Wasserbeständigkeit vorliegt und die Erhärtungsvorgänge auch unter Wasser stattfinden. Prototyp der hydraulischen B. ist der Portlandzement, der Hauptvertreter der silicatischen Zemente. Als Zementrohstoffe werden Kalkgestein, Sandgestein, Tone sowie natürliche und künstliche Zumahlstoffe (Gips, silicatische Gesteine, metallurgische Abbrände, Schlacken, Flugaschen) eingesetzt. Aus natürlichen Kalkgestein-Ton-Gemengen (Mergel) geeigneter Zusammensetzung kann direkt Zement hergestellt werden. Für einen Zement mit guten hydraulischen Eigenschaften sind bestimmte Relationen der Kalk- (CaO-) Menge gegenüber den Mengen an Siliciumdioxid SiO2 Aluminiumoxid Al2O3 und Eisen(III)-oxid Fe2O3 (Hydraulefaktoren), die bei der Hochtemperaturbehandlung (Brennen) Silicate, Aluminate und Ferrite bilden, einzuhalten. Die Güte des Portlandzements steigt mit zunehmendem Kalkanteil. Die Technologie der Zementherstellung aus den in Walzen- und Rohrmühlen feinzerkleinerten und in Silos homogenisierten Rohstoffen kann nach dem Naß-, Halbtrocken- und Trockenverfahren durchgeführt werden. Das Naßverfahren ist veraltet (hoher Energieaufwand), das Trockenverfahren ist oft mit hoher Staubbelastung verbunden. Die bevorzugte Technologie ist deshalb das Halbtrockenverfahren. Dabei wird das feinpulvrige trockene Rohmehl in schräg gelagerten Granuliertellern mit 10 bis 15 % Wasser zu haselnußgroßen Granalien verarbeitet, die über einem Rostvorwärmer mit heißen Ofengasen getrocknet und im Drehrohrofen mit Gas-, Öl- oder Kohlenstaubfeuerung bei Temperaturen von maximal 1400 bis 1500 °C zum Zementklinker gebrannt werden. Moderne Anlagen haben Tagesleistungen von mehr als 3000 t Klinker, der mit Luft oder Wasser gekühlt wird. Während des Brennprozesses finden bis zu 1300 °C Sintervorgänge und Festkörperreaktionen (Modifikationsumwandlungen, Verbindungsbildung) statt; erst oberhalb von 1300 °C verlaufen die Hauptreaktionen, Löse- und Kristallisationsprozesse in der Schmelzphase, deren Anteil am Rohstoffgemenge 20 bis 30 % nicht überschreiten soll. Erst durch Feinmahlung in Rohrmühlen erhält der Zementklinker infolge der starken Vergrößerung der Oberfläche seine hydraulischen Eigenschaften. Das Zumahlen von 3 bis 4 % Gips hat eine (oft erwünschte) Verzögerung der Abbindezeit zur Folge. Beim Abbinden gehen Reaktionen der Zement-Mineralphasen mit dem Wasser, das Auflösen relativ leicht löslicher Minerale und die Ausscheidung von Mineralphasen mit höherem Kondensationsgrad (silicatische Anionenkomplexe) vor sich. Aus dem Tri- und Dicalciumsilicat 3 CaO·SiO2 bzw. 2 CaO·SiO2, entstehen mit Wasser gelartige, semikristalline Calciumsilicathydratphasen von fasriger und schichtähnlicher Struktur (Tobermorit), die die Räume zwischen den Körnern weitgehend (bis auf 20 % Porositätsgrad) ausfüllen und die Mischung verfestigen.

Spezialzemente werden erzeugt, um bestimmte Eigenschaften zu erzielen (chem. und thermische Beständigkeit, geringere Wärmetönung beim Abbinden) und um Abprodukte zu verwerten (Schlacken, Aschen). Die Herstellungsverfahren weichen oft wesentlich von der Technologie der Portlandzementherstellung ab. Zu den portlandzementähnlichen Zementen mit langsamem Abbindeverhalten und hoher Sulfatresistenz gehören die Ferrozemente, bei denen das Aluminiumoxid des Portlandzements weitgehend durch Eisen(III)-oxid ersetzt ist. Große Bedeutung haben die Hüttenzemente, die auf der Basis von Hochofenschlacken als Zumahlstoffe (bis zu 40 % als Eisenportlandzement und bis zu 80 % als Hochofenzement bezeichnet) zum normalen Portlandzement hergestellt werden. Von den nichtportlandzementähnlichen Zementen wird der nichtsilicatische Tonerdeschmelzzement besonders als Material für hitzebeständige Ausmauerungen im Industrieofenbau verwendet.

Hydrothermale B. werden im Autoklaven bei Temperaturen von etwa 200 °C aus Sand, Kalk (evtl. Gips oder Zementzuschläge) und Wasser unter hydrothermalen Bedingungen hergestellt, wobei Abbindereaktionen wie bei der Zementerhärtung über Calciumsilicathydratphasen ablaufen. Bei der Herstellung von Kalksandstein wird Quarzsand mit 4 bis 12 % Kalk und Wasser gemischt und nach der Formgebung (Pressen) bei 0,8 bis 1,2 MPa und 175 bis 200 °C 2 bis 20 Stunden zur Reaktion gebracht. Für die Herstellung von Silicatbeton findet eine gemeinsame Feinzerkleinerung von Sand und Kalk statt. Als Zuschlagstoffe werden dem dichten Silicatbeton Sand, Kies oder Filteraschen zugesetzt. Im Gegensatz dazu gibt man bei der Herstellung von Gassilicatbeton dem Rohstoffgemisch einen Gasbildner zu, z. B. Aluminiumpulver oder -paste, Calciumcarbonat/Salzsäure, Wasserstoffperoxid, wodurch Porenbetons entstehen, die als Leichtbausteine und Wärmedämmstoffe Verwendung finden.

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